Seit ich mich erinnere, fahre ich Fahrrad. Erst zur Schule und zum Leichtathletik-Training, mit den Jahren wird das Fahrrad selber zum Sportgerät, ein wenig später zur Lebensphilosophie. Jahrzehntelang lege ich jeden Kilometer mit dem Fahrrad zurück; nur wenn wirklich sperrige Gegenstände zu transportieren oder große Distanzen in kurzer Zeit zurückzulegen sind, nutze ich öffentliche Verkehrsmittel. Über die Jahre kommt ein sechsstelliger Kilometerbetrag zusammen, das Fahrrad gehört einfach dazu. Der Fahrradhelm nicht.
Große Freiheit – ohne Fahrradhelm
Ausgedehnte Radtouren in Asien, Südamerika oder Nordafrika weiten den Horizont. Immer ohne Fahrradhelm. Natürlich gibt es hin und wieder brenzlige Situationen. Oft bin ich haarscharf an schweren Unfällen vorbeigerauscht, aber passiert ist nie etwas – das ist auch gut so, denn auf die Rettungsdienste in Indien oder Bolivien möchte ich mich doch eher ungern verlassen. Trotzdem bin ich nie auf die Idee gekommen, einen Fahrradhelm zu tragen.
Ein Fahrradhelm bedeutet Sicherheit
Wenn überhaupt einmal etwas passiert ist, dann in Deutschland. Natürlich lag es immer an Autofahrern, die mich einfach übersehen haben, und es ist immer glimpflich abgegangen. Wobei mir erstere Erkenntnis nicht viel bringt, und auf zweiteres kann ich mich sicher nicht in alle Ewigkeit verlassen. Die Erkenntnis kommt mir an einem stinknormalen Abend auf dem Weg von der Arbeit nach Hause. Wie immer bin ich ohne Fahrradhelm und recht zügig unterwegs – zu zügig auf jeden Fall, um dem Hund auszuweichen, der urplötzlich hinter einem parkenden Auto hervorschießt, oder auch nur halbwegs abzubremsen. Der Aufprall ist unvermeidlich, der anschließende Sturz ausgesprochen unsanft.
Die bahnbrechende Erkenntnis: Ein Fahrradhelm stört nicht
Viel passiert ist nicht, zumindest in körperlicher Hinsicht: Von ein paar Schürfwunden abgesehen, trage ich keine Blessuren davon. Bei einem Sturz mit knapp 30 km/h kann man da von Glück reden, denke ich. Von ziemlich viel Glück sogar. Als ich humpelnd mein ziemlich ramponiertes Rad nach Hause schiebe, werde ich nachdenklich: Ich habe jahrelang unglaublich viel Glück gehabt, das kann nicht ewig so weitergehen. Was wäre passiert, wenn ich etwas anders gefallen und ohne Fahrradhelm mit dem Kopf auf die Bordsteinkante geschlagen wäre? Und was ist eigentlich so schlimm an einem Fahrradhelm? Ich habe es nie tatsächlich abgelehnt, einen Fahrradhelm zu tragen, oder auch nur über das Thema nachgedacht. Es schien mir einfach immer selbstverständlich, ohne Fahrradhelm in den Sattel zu steigen.
Am nächsten Morgen sitze ich wieder im Sattel, zum ersten mal in meinem Leben mit Fahrradhelm auf dem Kopf. Dass ein guter Fahrradhelm kein bisschen stört, merke ich schnell. Schon nach ein paar Kilometern merke ich kaum noch, dass ich einen Fahrradhelm auf dem Kopf habe, und nach ein paar Tagen gehört der Fahrradhelm ganz selbstverständlich dazu. Vergesse ich ihn, gehe ich zurück und hole ihn. Im Sommer schwitze ich nicht mehr als ohne Fahrradhelm, und in der dunklen Jahreszeit bedeuten die Reflektorstreifen sogar ein deutliches Plus an Sichtbarkeit. In den sechs Jahren seit dem letzten Unfall bin ich zehntausende Kilometer gefahren, keinen einzigen davon ohne Fahrradhelm. Passiert ist natürlich nichts, und anders als früher oft gab es noch nicht einmal ansatzweise kritische Situationen. Ob das in irgendeiner Weise mit dem Fahrradhelm zusammenhängt? Ich weiß es nicht, aber man soll sein Glück bekanntlich nicht überstrapazieren.